Nathan Larson

Nathan Larson, 2/14: Ein Dewey-Decimal-Roman, Penser-Pulp-Reihe, Diaphanes, Zürich-Berlin, 2014, Übersetzung: Andrea Stumpf, Hrsg.: Thomas Wörtche, S. 255, 17,95 Euro

Dewey Decimal ist Bibliothekar in der New York Public Library, soviel weiß er. Sonst weiß er wenig von sich, nicht einmal seinen richtigen Namen. Er benutzt ein System, das Dewey Decimal System eben, eine Klassifikation zur Erschließung von Bibliotheksbeständen, um das Durcheinander zu ordnen. Ein höchst zweckmäßiges Ding, mit dem Dewey nicht nur dem Bücherchaos, sondern auch der urbanen Verwüstung beizukommen sucht.

Am Valentinstag ist New Yorks Architektur und Infrastruktur von nicht näher benannten „Begebenheit(en)“ zerstört worden. Inzwischen herrscht Sommerglut.

Metropolen wie NY werden ja gerne mal geschrottet. Literarisch. Seit 09/11 holt die Realität auf.

Paramilitärische Banden, staatlich eingesetzt oder kriminell organisiert, kontrollieren die stinkenden Straßen. Geplünderte Supermärkte und Malls, dagegen halbwegs intakte Museen. Kein Mensch braucht Kunst, wenn er nix aufm Teller hat, keine Bleibe, keine Sicherheit, keine Basics. Abgesehen von wenigen, die die Katastrophe für ihr kriminelles Unwesen nutzen und auf die Zeit hoffen.

Dewey jedenfalls hat einen kleinen Nebenjob beim obersten Staatsanwalt der Stadt, eine Tätigkeit zwischen Privat Eye und Profikiller. Von irgendetwas muss man schließlich leben angesichts des Mangels an … allem. Außerdem bekommt er Pillen vom Staatsanwalt, die ihm gegen seine bevorstehende Dekompensation helfen, denkt er. Oder ist der suggestive Faktor die Droge? Seine Qualifikation bezieht Dewey aus seiner soldatischen Vergangenheit, einer, die durchaus in Frage steht, denn auf seine Erinnerung kann er sich nicht verlassen. Man hat irgendetwas damit gemacht, etwas implantiert, vielleicht im Militärkrankenhaus damals nach dem Einsatz in … , vielleicht … Unsicherheit in … allem.

Dem Chaos setzt Dewey sein System entgegen, er hat eine Art inneren Navigator, mit dem er sich durch die Straßen bewegt. Außerdem einen Zwang, dem er folgen muss: Händedesinfektion.

Der Ekel als eher frühkindliches Phänomen kann nicht mehr zivilisatorisch kompensiert werden in Gegenwart von all dem Dreck und Gestank rundum. Daneben braucht er noch ein paar Übergangsobjekte. Einen Hut, einen Schlüssel, seine Beretta, seine Pillen, für die eigene Sicherheit. So ausgestattet wird er angeschossen, von einer Frau. Aber Glück im Unglück (Wer weiß, wie das ohne Übergangsobjekte ausgegangen wäre?) ist es nur das Knie. Der Staatsanwalt beschafft ihm ein neues. Frisch operiert flieht er aus dem Militärkrankenhaus, weil ihm das nicht geheuer scheint. Militärkrankenhauserinnerungen – falsche oder echte? Er rennt durch die Stadt auf der Suche nach … Das weiß er nicht so genau. Ihn treiben verschiedene Mordaufträge. Seine konkurrierenden Auftraggeber chipen ihn vorsichtshalber zwecks Überwachung.

Während er Leichen aufs Dach schleppt mache ich mir Sorgen. Woher hat ein Mensch in solch einem schlechten Allgemein- und Ernährungszustand die Kraft dafür? Und wieso hindert ihn sein Knie nicht, oder nicht sehr, an seinen Aktivitäten? Ich denke an eine Prothesenlockerung, an eine Peronaeuslähmung (mit der Derwey nur noch durch NY stolpern könnte), an schwarze Zehen durch Arterienverschlüsse, ganz abgesehen vom Schmerz.

Aber nichts dergleichen. Naja, so Hard-boiled-Typen sind schon, ähm, hard boiled. Okay, ich glaube ihm. Er sagt ja auch: „Die Leute sind dumm, und wenn man ihnen eine plausible Geschichte präsentiert, wollen sie sie glauben. Weil die Leute nicht nur dumm, sondern auch faul sind und sich keine Zusatzarbeit aufhalsen wollen.“

Nun, Dewey nimmt sich selbst nicht aus, denn er glaubt, dass er die Frau beschützen müsse, die ihn ins Knie geschossen hat, was ihm allerdings jede Menge Zusatzarbeit einträgt.

Höchst plausibel sind Deweys Zwänge. Mit ihnen löst er den Konflikt zwischen erlernter (aktuell untauglicher) Moral und den momentan nötigen Regelübertretungen: Er bringt Leute um. Das ist nicht richtig.

Er tut das nicht als Soldat. Da muss das ja so. Sondern zu seinem Vorteil. Zu seiner Legitimation versucht er herauszufinden, wer von denen, für die er einen Mordauftrag hat, den Tod „verdient“. Soviel Moral muss sein. Nur kommt ihm bei der Recherche dauernd ein Bodyguard, eine Agentin oder ein Haufen Outlaws in die Quere, was ihm Mittelgesichtsfrakturen, Thoraxprellungen und eine ruinierte Garderobe einbringt. Um seine Anzüge sorgt er sich oft, setzt der Verwahrlosung so einen Standard entgegen, den er aus dem Davor mitgebracht hat. Die „Begebenheit(en)“ um den 14. Februar haben ein Davor und ein Danach geschaffen. Obwohl sich die Geschichte kaum explizit auf eine Vergangenheit bezieht (mit der Gegenwart hat Dewey genug an der Backe), blitzt die „Kultur“ und das Festhalten an ihr um des Menschseins Willen in solch scheinbar absurden Handlungen durchs Chaos.

Irgendwann kriegt Dewey eine gewisse Struktur in seine Aufträge und der folgt er. Auch in gutem Glauben …

2/14 ist das Debüt von Nathan Larson und der erste Roman seiner Trilogie um Dewey Decimal. In dem erhellenden Nachwort positioniert Thomas Wörtche das Werk auf spannende Weise im Literarischen.

Hart, klar, kühl und sarkastisch wird die Geschichte erzählt. Doch daneben ist sie mit ihrem Scheitern und Weitermachen, ihren Albträumen und Intrusionen, ihrem Irren und Sehnsüchtigen, ihrem Rauen, Fraglichen und Fragilen wie ein Abbruchhaus auf Speed. Und ein Noir vom Feinsten!

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